Vielleicht ist es ein wenig verwegen, wenn ich als ausgemachter Agnostiker den Begriff „Götter“ hier in eine Überschrift setze. Aber ich hatte schon immer eine Vorliebe für die antike griechische Mythenwelt. Diese birgt – wie jedes Mythenkonzept, eingeschlossen die so genannten Weltreligionen – eine Fülle „innerer Bilder“, wie ich es mal ausdrücken will, die unsere seelischen Bedürfnisse und Möglichkeiten widerspiegeln.
Für die Figuren der griechischen Götter etwa gilt, dass jede Gottheit einen Teil unserer Persönlichkeit repräsentiert, der gelebt werden will … und in Konflikt kommen kann mit anderen Persönlichkeitsbereichen. So ist etwa die Liebesgöttin Aphrodite nicht gerade die beste Freundin der vernunftbetonten Athene, oder der Hera, die auf die Einhaltung der Verträge achtet, zu denen auch Eheschließungen gehören.
Die Geburt des Zeus
Auf Kreta geht es erstmal um Zeus, den obersten aller griechischen Götter. Bekanntlich entstammt er der Verbindung der Titanen Kronos und Rhea und ist deren jüngstes Kind. Da Kronos geweissagt wurde, dass er durch eines seiner Kinder entmachtet würde, verschlang er eines nach dem anderen direkt nach der Geburt. Als Rhea mit dem sechsten Kind niederkommen sollte, traf sie Vorsorge. Sie brachte es – Sie ahnen es – auf Kreta zur Welt und versteckte den kleinen Zeus in einer Berghöhle, wo er von zwei Nymphen, Adrasteia und Ide, aufgezogen wurde. Statt des Neugeborenen überreichte Rhea ihrem Gatten einen Stein zum Verschlucken. Damit Kronos, der argwöhnte, dass irgendetwas nicht stimmte, seinen Letztgeborenen nicht finden konnte, bat Rhea Kureten, eine Truppe von neun bewaffneten Dämonen, den kleinen Zeus zu schützen, und durch Waffentamtam von dem gelegentlichen Geschrei des Säuglings abzulenken. Genährt wurde das Kind von Almatheia. Sie war die dritte Nymphe, die sich Zeus erbarmte. Offenbar im gegenseitigen Einverständnis verwandelte Rhea sie in eine Ziege. Als göttliches Ammentier spendete sie aus ihrem Euter Milch und aus den Hörnern nahm Zeus Ambrosia und Nektar (die beiden Götterspeisen) zu sich – standesgemäß also, das Ganze. Freundlicherweise steuerten wilde Bienen noch reichlich Honig bei und das Kind gedieh. Insektensterben war damals noch kein Thema.
Trotz der Kureten drang wohl doch Babygeschrei aus der kretischen Höhle an das Ohr des Kronos. Er ging dem nach, fand die Höhle, war aber viel zu groß, um sie zu betreten. So tastet er mit der Hand durch den Eingang nach dem Urheber des Lärmes. Almatheia verteidigte Zeus durch ihre Hörner. Dabei brach eines ab, ehe Kronos wieder verschwand. Dieses abgebrochene Horn ist das sagenumwobene Füllhorn, dass unerschöpflich all das ausschütten kann, was sich ein Herz nur wünschen kann.
Zeus versus Kronos
Es kam wie es nach der Prophezeiung kommen sollte. Zeus stürzte Kronos. Zur Hilfe kamen ihm seine Geschwister, die, unsterblich wie sie waren, noch im riesigen Magen des Vaters überdauert hatten. Herausgewürgt wurden sie durch einen Trank der Metis, der Titanin die als scharfsinnigstes Wesen des Universums galt. Gemeinsam also mit Hades, Poseidon, Hera, Demeter und Hestia beendete Zeus die Herrschaft der Titanen und das Zeitalter der Götter brach unter seiner Führung an. Hades bekam als Königreich die Unterwelt, Poseidon das Meer zugesprochen. Zeus erhielt den Himmel und hatte in allen Belangen auf der Erde, wo auch die beiden anderen aus ihrem Herrschaftskreis heraus wirken durften, stets das letzte Wort. Hera wurde die Gemahlin des Zeus und sozusagen Himmelskönigin. Demeter war imstande, alles wachsen und gedeihen zu lassen und galt als besonders sanfte, zugewandte Göttin. Doch in dieser Hinsicht wurde selbst sie von Hestia, der Göttin des Herdes, übertroffen, die sich nirgendwo einmischt und nicht einmal eine Liebschaft oder einen Mann haben wollte, sondern als Wahrerin des häuslichen Friedens wirkte. Das hat nichts mit „Heimchen am Herd“ zu tun, sondern eher mit einer hoch sensiblen und kompetenten Person – sie ist sozusagen der Prototyp eines familientinternen Mediators.
Kreta war also die Heimat des Zeus als Kind und Heranwachsender. Noch heute sind etwa kretischer Honig und die vielen Ziegen, die dort noch gehalten werden, typische Hinweise auf die Kindheitsgeschichte des Obergottes. Zudem duftet diese Insel herrlich nach den vielen wildwachsenden Kräutern, allen voran Thymian und Rosmarin. Steinhöhlen sind in den Gebirgszügen reichlich vorhanden und man kann sich vorstellen, dass hier jemand sich verstecken kann, den selbst ein Titan nicht finden würde.
… aber das ist nicht die einzige Sage, die Zeus mit Kreta verbindet …
Charakterschwach – keineswegs!
Zu Heras großem Ärger war Zeus ein notorischer Fremdgänger. Hier muss ich mal einhaken und klarstellen, dass sich die Verhaltensweisen von Göttern nicht mit üblichen Moralvorstellungen messen lassen. Nicht weil sie alles dürfen – das ist eine irreführende Deutung! Richtig ist: Sie können nicht anders! Bleiben wir bei der Vorstellung, dass eine Gottheit eine seelische Strömung oder ein menschliches Bedürfnis repräsentiert, dann finden wir den Zugang zu dem zuweilen irrationalen Verhalten: Zeus steht unter anderem für Begeisterungsfähigkeit und den Drang, das Leben auszukosten. Insofern verkörpert er durch seine etlichen Amouren genau dieses Prinzip unseres Daseins. Hera hingegen hat den in dieser Hinsicht undankbaren Job, an die Pflichten zu erinnern, ja diese einzufordern. Letztlich ist sie im Recht – aber Zeus findet immer wieder Schliche, um auch abseits von den Regeln Spaß zu haben. Wer hätte dafür kein Verständnis? Man sollte also Hera und Zeus – und die anderen Götter in ihren Bedeutungen und Zuständigkeiten – stets zusammen sehen. Die mit ihnen verbundenen Mythen zeigen stets unseren inneren Widerstreit, wenn Bedürfnisse miteinander konkurrieren.
Die europäische Affäre
Zurück zu Zeus. Eine seiner folgenreichsten Liebschaften war die mit einer gewissen Europe. Diese war eine phönizische Königstochter (Phönizien war damals der Name für den Küstenstreifen etwa von Israel, Syrien und Jordanien). Um sich Europe zu nähern, ohne dass irgendjemand – schon gar nicht Hera – etwas davon mitbekam, verwandelte sich Zeus in einen prachtvollen und freundlichen Stier und mischte sich in die Herde des phönizischen Königs, die zufällig in Strandnähe weidete. Europa wurde auf ihn aufmerksam, schmückte seine Hörner mit Blumen und wagte es, auf ihm zu reiten. Schwupp, der Stier galoppierte schnurstracks ins Meer und schwamm in kräftigen Zügen fort. Da half kein Schreien und Flehen, die Maid wurde entführt. Kräftige Brustmuskeln und erst recht eine göttliche Willenskraft machten den Zeusstier zum Ausnahmeschwimmer und er steuerte den Süden Kretas an. Man spricht heute noch davon, dass Matala, eine wunderschöne Bucht, der Landepunkt war. Wieder festen Boden unter den Füßen wandelte sich Zeus in seine eigentliche Gestalt zurück und hatte wohl den Anmachspruch „Nu mal raus, aus den nassen Klamotten“ bei dieser Gelegenheit erfunden. Europe fand das nach Lage der Dinge prima und sie lebten eine Weile glücklich miteinander, wobei sie Zeit fanden, drei Söhne, nämlich Minos, Rhadamanthys und Sarpedon zu zeugen.
Zwischendurch beschlichen Europe aber Zweifel, ob sie denn nicht irgendwann wieder nach Hause gehen sollte. Da erschien ihr Aphrodite, die, wie wir wissen, das Ressort „Liebe“ variantenreich und sehr umfassend verwaltet. Sie weissagte der jungen Frau, dass sie ihre Heimat verlassen musste, um woanders eine Dynastie zu gründen. Und da wir schon einmal dabei sind: Man tauschte ein „e“ am Namensende gegen ein „a“ ein, und schon wurde die edle Zeus-Geliebte auch noch zur Namenspatronin des bei Betreten noch nicht benannten Kontinentes.
Früher oder später musste Zeus nun aber weiterziehen, etwa um über die Weltordnung zu wachen, gemeinsam mit anderen Göttinnen oder Menschendamen weitere Kinder in die Welt zu setzen, zwischendurch Ganymedes zu rauben um einen neuen Mundschenk (… Hebe wurde ja mit Herakles verheiratet …) und Allzeitgeliebten in den Olymp zu integrieren, den Trojanischen Krieg zu beobachten und natürlich auch, um sich bei Hera mal wieder blicken zu lassen und sie zu besänftigen. (Mich erinnert das Gespann Zeus und Hera immer an Elizabeth Taylor und Richard Burton die sich im Film „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ so herrlich zoffen, oder an Katherine Hepburn und Peter O’Toole“ in „Der Löwe im Winter“ … sie können nicht mit und können nicht ohne einander)
Europe war nun auf Kreta allein, aber blieb es nicht lange. Immerhin war diese große Insel ein Königreich und dazu gehört ein König. Der hieß Asterios, war praktischerweise nicht verheiratet und sogar kinderlos und freite mit Erfolg um die alleinerziehende Mutter, die nichts von ihrer Anziehungskraft eingebüßt hatte. Anständig wie Asterios war, adoptierte er die Jungs von Europe und diese wurden die Gründer der kretischen Dynastien in denen Stiere keine unwesentliche Rolle spielen. Die Idylle war perfekt.
Matala ist übrigens der Ort, an ich mehrmals Urlaub gemacht haben. Es ist wirklich wunderschön und geschützt gelegen und bietet selbst Ende Oktober sommerlich warmes Wetter. Es ist verständlich, dass Zeus gerade hier gelandet sein soll … vielleicht sogar am „Red Beach“, einer vom Land aus nicht allzu leicht zugänglichen Bucht mit einem herrlichen Sandstrand.
Mit unserer Vorliebe für Matala stehen Zeus und wir keineswegs alleine, denn dieser Ort war in den Zeiten der Flower-Power-Bewegung ein Treffpunkt und Rückzugsort friedlicher Aussteiger. Noch immer ist einiges von dieser Zeit hier zu spüren – touristisch aufbereitet, sicher, aber dennoch hinreichend authentisch. Kein Zweifel, bestimmt werde ich mit Fred gemeinsam irgendwann mal dorthin reisen … ohne Stierhörner … aber vielleicht mit ein paar Blumen im Haar …
DANKE für die kleine Göttererklärung…UND Herrrlisch….‘ Nu mal raus aus den nassen Klamotten“:-)
Das kretische Tülpchen ist wunderschön!!
Deine Seite ist toll….ich habe das bislang etwas verpasst. Das passiert nicht mehr..
Ich werde mir die Zeit jetzt nehmen und daraus sicher auch viele Anregungen finden…
Danke für das schöne Gespräch gestern!!
Hat mich etwas aus meinem Alltag hier gerissen….ich liebe Deine Art wie Du Dich auszudrücken vermagst….!!!
Liebe Grüße, Mecky
Liebe Mecky,
das ist eine wunderbare Motivation hier weiter am Ball zu bleiben und Beiträge zu veröffentlichen. Ich freue mich, wenn es dir gefällt, und wenn du magst, sag es einfach weiter. Herzliche Grüße zurück, Katzentatenpante, du …