Die Nachtfalter-Orchidee ist mittlerweile die mit Abstand am häufigsten verkaufte blühende Zimmerpflanze geworden. Das war nicht immer so. Hier zeichne kurz nach, wie es dazu gekommen ist und in welchen Zwiespalt gerade sie mich immer mal bringt. Vorsicht, Lesestoff.
Beginnen wir mit meiner Geschichte mal in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Damals war ich ein Teenager und mein Interesse an Pflanzen für Zimmer und Garten wurde stärker. Zwei Häuser neben meinem Elternhaus auf dem Tecklenburger Weg in der ostwestfälischen Stadt Harsewinkel befand sich das Blumengeschäft von Hannah Grothues, das mir eine wunderbare Anschauung aller Pflanzen und Schnittblumen bescherte, die seinerzeit im Handel waren. Orchideen waren vor 40 Jahren noch eine gewisse Sensation. Manchmal gab es ein Cymbidium zu bestaunen, und hin und wieder standen drei oder fünf Phalaenopsis-Pflanzen feil. Sie waren als große Kostbarkeiten inszeniert und galten als heikel in der Pflege – und nur für Spezialisten geeignet die hingebungsvoll mit grünem Daumen pflegen. … also nix für mich. Hinzu kam, dass die Pflanzen sehr teuer waren – unter 20 DM, oft doppelt so viel – war nix zu machen. Orchideen eben (… damals kostete ein Brot etwa eine Mark). Aber toll sahen sie aus, die Phalaenopsis-Blüten: Meist in weiß oder pink …
Ein paar Jahre später, in den 80er-Jahren, studierte ich Gartenbau an der Universität Hannover. Professor Karl Zimmer, der dort bis 1999 alle Zierpflanzenbauer schulte und den ich wirklich sehr mochte, war ein Spezialist unter anderem auch für Orchideen wie Phalaenopsis. Und zusätzlich gab es in Hannover am Marstall, nahe dem „Altstadt-Rest“, ein Blumengeschäft namens „Dunkel“ – hier wurden Raritäten wie fleischfressende Pflanzen und Orchideen angeboten, die man sonst kaum im Handel findet. Ich erinnere mich gut, wie begeistert ich war, als ich dort eine gelb blühende Sorte entdeckte – das war wirklich etwas Neues. Und ich weiß noch, wie frustriert ich gleichzeitig war, als ich den Preis erfuhr – eine Summe von der ich als Student eine Woche essen und trinken konnte. Egal; ob als Zaungast, als Besucher der Gewächshäuser im Hannöverschen Berggarten, als Student oder stolzer Besitzer eine Phalaenopsis-Pflanze, die hier und da mal günstig im Uni-Verkauf angeboten wurde, ich blieb dieser Orchidee auf der Spur.
Die Phalaeonopsis spiegelt wie kaum eine andere Pflanze den immensen Effekt moderner Kulturtechniken wider. Ich weiß nicht genau, wie es den Züchtern gelungen ist, mittlerweile das komplette Spektrum aller Farben (außer klarem Blau) einzuzüchten, einschließlich mannigfaltiger Zeichnungen und Mehrfarbigkeiten. Das einst begehrte rare Gelb ist mittlerweile gängig und sogar warm rote, orangefarbene oder rostfarbene Farbschläge sowie sehr dunkle Violett- und Bordeaux-Rottöne sind längst keine echten Ausnahmen mehr.
Wesentlich wichtiger sind aber die durch Züchtung verbesserten Pflanzeneigenschaften. Waren Wildarten oder frühe Züchtungen noch etwas für Blumenfreunde, die wenigstens ein bisschen Kenntnisse hatten, sind heutige Sorten wirklich problemlos. Man taucht sie einmal die Woche und achtet darauf, dass die Wurzeln nie faulen, passt auf, dass sie nicht zu sonnig stehen und stellt sie nicht gerade über eine trockene Heizung ins warme Zimmer. Fertig! Wer noch weitere Register ziehen möchte, düngt einmal pro Monat mit einem Orchideendünger (oder der halben Dosis wasserlöslichem Zimmerpflanzendünger) und besprüht gelegentlich die Blätter.
Versetzen wir uns mal in die Lage eines Marketing-Strategen: Wir haben eine Zimmerpflanze, die einen gewissen Zauber ausübt – und obendrein leicht zu pflegen ist. Aber sie ist noch teuer. Und die klassischen Vermehrungsmethoden der Züchtungen etwa durch Teilung oder Kindelbildung sind langwierig und halten den Preis hoch. Was brauchen wir also? Richtig: Um ein Massenprodukt zu kreieren, brauchen wir eine Massenvermehrung. Und die gibt es. Es handelt sich um die so genannte „In-Vitro“-Vermehrung. Sie fußt auf dem Prinzip der „totipotenten Zelle“. Das heißt, dass jede Zelle grundsätzlich über einen vollständigen Chromosomensatz mit sämtlichen Erbinformationen verfügt und potenziell in der Lage ist, daraus einen komplett neuen Organismus – baugleich zu dem von dem sie stammt – zu entwickeln. Die Hürde ist, dass eine Zelle die ja bereits spezialisiert etwa in einer Wurzel oder in einem Blatt ihre Funktion übernommen hat, wieder auf den Zustand zurückgeführt werden muss, wo sie noch undifferenziert ist, wie etwa eine gerade befruchtete Zygote oder embryonale Zellen am Anfang der Entwicklung eines lebenden Individuums. Die In-Vitro Vermehrung etwa für Phalaenopsis ist so verfeinert worden, dass das gelungen ist. Die „embryonalisierten“ Zellen im Glas und Nährmedium werden so weiterkultiviert, dass sich Jungpflanzen bilden. All das geschieht in sterilen Anzuchtboxen im Labor. Besonders heikel ist der Zeitpunkt, an dem die Jungpflanzen vom Nährmedium in Töpfe mit Orchideensubstrat umgesetzt werden. Offenbar ist auch diese Klippe durch robuste Züchtungen und Produktionserfahrung genommen worden. Der Rest ist Vollzug: Die massenhaft gewonnenen Jungpflanzen (die Vermehrungsrate ist gigantisch, man braucht ja pro Jungpflanze nur eine Zelle) wachsen in Gewächshäusern, die eher an Fabriken erinnern, bis zur Marktreife heran.
Wir sind nun, nochmal aus der Perspektive des Vermarkters gesehen, fast am Ziel: Wir haben jetzt Riesenmengen an Pflanzen. Nun sind wir aber dazu gezwungen, diese auch zu verkaufen. Wir müssen Erlöse erzielen, um die enormen Investitionen in Labore und Gewächshäuser, Personal und Betriebsmittel einzuspielen und Gewinn zu machen. Die hohen Preise die Orchideen bisher erzielten sprechen nicht ausreichend kauflustige Pflanzenfreunde an … aber sie müssen ja auch nicht hochgehalten werden. Das Vermarktungsprinzip „Masse mal Geschwindigkeit“ funktioniert auch hier. Pflanzenqualitäten die einigermaßen ausreichen lassen sich auch für Endverkaufspreise unter 10 Euro offensichtlich gewinnbringend produzieren. Karrenweise stehen darum also die einstigen Raritäten in Gartencentern, Baumärkten und Supermärkten als Aktionsware zu Kampfpreisen. Diese Pflanzen müssen nicht schlecht sein, doch es gibt bessere Qualitäten.
Meist spielt sich das in der Preisklasse zwischen 15 und 29 Euro ab. Phalaenopsis in dieser Riege haben dann mindestens zwei Blütenstiele die reich garniert sind, und meist sind die Farben der Blüten spannender. Das Hauptargument ist aber, dass die Pflanze etwas mehr Zeit gehabt hat, sich zu entwickeln und in der Regel robuster wächst und einfacher weiter zu kultivieren ist.
Die modernen Phalaenopsis-Sorten sind, wie erwähnt, variantenreiche, leicht zu haltende Zimmerpflanzen. Es wird oft empfohlen, die Triebe bei denen alle Blüten verwelkt sind, zu belassen, weil sie durchwachsen können und dabei neue Blütenknospen anlegen. Das stimmt auch, wenn nicht der Blütentrieb vertrocknet (… kann vorkommen). Das Ergebnis ist dann aber ein langer, zuweilen verzweigter, fast immer etwas gakeliger Blütenstand.
Mir gefällt sowas nicht, und darum schneide verblühte Stiele stets direkt am Ansatz zwischen den lagernden Blättern aus. So verschaffe ich der Pflanze erstmal eine gewisse Ruhe. Sie nutzt die Zeit, um einen neuen Blütentrieb zwischen ihren Blättern zu entwickeln. Je nach Sorte dauert es zwischen einem dreiviertel bis ganzen Jahr, bis dieser erneut blüht – und zwar an straffen, schön aufgebauten, nicht allzu langen Trieben.
Phalaenopsis-Pflanzen sollten beim Kauf frisches, dunkles, festes Laub haben. Die Wurzeln müssen ebenfalls frisch aussehen und haben weiß-grüne Spitzen. Blütenknospen dürfen nicht die Spur schrumpelig erscheinen, sondern haben eine glatte Oberfläche. Gleiches gilt auch für offene Blüten. Beim Transport vor raschem Temperaturwechsel durch Einwickelpapier oder Folie schützen.
Meist sind die Blütenstiele an Stäben befestigt – das ermöglicht eine einfachere Handhabung im Handel. Es ist reine Geschmacksache, ob man daheim die Stäbe entfernt. Blütenstande mit vielen großen Blüten können allerdings dann durch ein einseitiges Gewicht die Pflanze mit Wurzeln aus dem Topf mit dem Substrat hebeln. Besser ist es, zumindest sie bis etwa zur Hälfte des Blütenstieles noch abzustützen.
Tja – viel Lesestoff zur einst spektakulären Phalaenopsis, die heute von den allermeisten Menschen lediglich als „Orchidee“ wahrgenommen wird und mittlerweile keinen besonderen Stellenwert mehr hat.
Die Masse und der geringe Preis in der/zu dem diese Pflanze angeboten wird, hat sie entwertet. Ich selbst sitze mit meiner Einschätzung zwischen den Stühlen. Auf der einen Seite gefällt es mir sehr gut, dass eine so schöne Pflanze nichts mehr nur für reiche Experten ist, sondern jeder Pflanzenfreund seine Freude daran haben kann.
Auf der anderen Seite tut es mir Leid, zu sehen, wie die Phalaenopsis zur Wegwerfpflanze verkommt. Sie kostet ja „nix“ … und hinzu kommt auch noch, dass viele die eigentliche Raffinesse und Schönheit der Blüten gar nicht mehr erkennen, weil sie ihnen zu „gewöhnlich“ geworden ist.
Ich gebe zu: Ich hatte immer schon andere Favoriten in der Orchideenwelt, auch ehe ich Zeuge der Entwertung von Phalaenopsis geworden bin: Cymbidien, Venusschuh, Cattleya und ihnen ähnliche Formen finde ich persönlich reizvoller. Aber dennoch lasse ich mich immer wieder durch besonders ausdrucksvolle Farbstellungen einer Phalaenopsis begeistern. Dann überlege ich aber sehr genau, wo die neue Pflanze hinkommen soll. Ich will sie nämlich lange behalten, denn ich erinnere mich an einen Ausspruch von meinem ehemaligen Professor Zimmer der sich mir eingeprägt hat: „Orchideenpflanzen wirft man nicht weg!“.
Wie heißt die oberste Phal? Das orange mit dem lila ist wundervoll!
Leider kann ich Ihnen die Namen nicht nennen – ich habe das Bild auf einer Ausstellung gemacht und die Orchideen-Namen nicht notiert. Ich bitte um Pardon und hoffe, dass Sie diese Sorte – oder eine ähnliche – gelegentlich im Handel finden. Solche Farbstellungen sind auch nicht selten in einem Orchideen-Mix zu finden.