Die Narzisse wächst auch in Griechenland wild und wurde sogar zu Auslösern von Sagen. Zwei der berühmtesten von ihnen fasse ich hier mal zusammen:
Der erste echte Narzisst
Der Begriff „Narzisse“ lässt sich auf die griechische Sagengestalt Narziss (= Narcissos) zurückführen, der die Liebe der Nymphe Echo zurückwies. Sie genügte seinen ästhetischen Ansprüchen offenbar nicht und wurde ihm lästig. Als Maßstab von Schönheit nahm er sich selbst und fand darin überhaupt kein Maß. Wunderbar dargestellt ist das in einem Gemälde von John-William Waterhouse, das sie beim Öffnen dieses Links bewundern können.
Eines Tages verliebte Narcissos sich in sein eigenes Spiegelbild als er es im Wasser erblickte. Er konnte sich nicht mehr von seinem Abbild lösen, weder essen noch schlafen … und es kam, wie es kommen musste: Beim Anblick seines Gesichtes verstarb er am Ufer des Gewässers. Die Götter schufen, obwohl sie Narcissos’ Verhalten eigentlich töricht und herzlos fanden, ein Andenken in Form der bekannten Dichternarzisse. Als „Narzissmus“ fand dieser Vorfall Eingang in das Vokabular der Psychiatrie und beschreibt eine rücksichtslose Eigenliebe, die selbstzerstörerische Züge annehmen kann.
Echo übrigens wurde auch nicht glücklich. Auch sie wurde aufgrund der Unfähigkeit zu essen und zu trinken immer weniger bis nur noch ihre Stimme übrigblieb, die letztlich auch nur noch Worte wiederholen konnte, die jemand anderes gerufen hat.
Wachstum und Stillstand
Die Narzisse spielte in einem noch kraftvolleren Sagenkreis des antiken Griechenlandes eine wichtige Rolle: dem von Persephone, ihrer Mutter Demeter und Hades, dem Herrscher der Totenwelt.
Hades begehrte Persephone zur Frau, doch die Mama war dagegen sehr. Schließlich ist sie die Göttin des Wachstums und der Vegetation und so wollte sie nicht gerade den Totengott zum Schwiegersohn haben. Hades raubte Persephone als sie eines schönen Tages auf einer Wiese lustwandelte und eine noch nicht bekannte Blume fand, die Gaia (die allumfassende Mutter Erde) hatte wachsen lassen … offenbar wollte sie die Geschehnisse voran treiben. So blühte eine Blume mit „hunderten von Blüten, deren Wohlgeruch bis zum Äther ströme“ – Sie ahnen es, es war eine Narzissenart. Man vermutet eine Jonquille. Persephone war leicht betört und wurde unaufmerksam; Hades rauschte mit seinem Wagen herbei und schnappte sich die Maid um sie in sein Reich zu führen – die Dramatik dessen ist in vielen Kunstwerken festgehalten. Sie war also verschwunden. Demeter suchte ihre Kore (= das griechische Wort für „Mädchen, Jungfrau“ ist ein Beiname der Persephone) und fand nach einiger Zeit heraus, was geschehen war. Sie forderte ihre Tochter zurück und verweigerte, bis die Angelegenheit zu ihrer Zufriedenheit geklärt war, der Welt ihren Segen. So gedieh nichts mehr und Pflanzen, Tiere und Menschen siechten dahin. Weltenbestimmer Zeus, der ebenfalls hinter der Entführung der Kore steckte, hatte keine Wahl und bat Hades, sie wieder heraus zu geben.
Aber das ging nicht so einfach. Es gibt nämlich ein Gesetz der Unterwelt das kein Gott ändern konnte: Wer in der Unterwelt, die übrigens nach ihrem Herrscher auch „Hades“ bedeutet, etwas zu essen zu sich genommen hat, darf sie auf ewig nicht mehr verlassen. Persephone leugnete bei der entsprechenden Frage, etwas gegessen zu haben. Aber sie wurde beobachtet, wie sie vier Kerne eines Granatapfels geknabbert, (wie in der Vasenmalerei hier dargestellt) und verschluckt hatte. Was das etwas zu essen? Wieder entbrannte ein Streit. Nach einigem Hin und Her schloss man einen Vergleich. Die vier Kerne wurden zu vier Monaten eines Jahres, an denen Persephone bei Hades bleiben musste. Die restliche Zeit des Jahres durfte sie bei ihrer Mutter weilen.
Fällt Ihnen dabei etwas auf?
Die Griechen der Antike kannten genau genommen drei Jahreszeiten; ein Herbst war ihnen nicht präsent. Diese Wahrnehmung wird gespiegelt in der Annahme, dass Persephone zum Frühjahr sozusagen auf Eheurlaub kommt und gemeinsam mit der glücklichen Demeter das Wachstumsgeschehen auf der Welt in Schwung bringt. So ziemlich zu dem Zeitpunkt an dem die Narzissen blühen, nebenbei bemerkt. Nach acht Monaten begibt sich die Dame, die zwischen den Welten wandelt, wieder zu ihrem Gatten, die Mama wird wieder traurig und das Wachstum macht Pause.
Die Ehe von Hades und Persephone galt trotz (oder wegen?) des sonderbaren Arrangements als glücklich. Zumindest ist nichts Gegenteiliges überliefert. Interessant ist noch ein kleines Detail … es gibt eine Darstellung in der Hades mit einer Krone zu sehen ist, die von Narzissenblüten geschmückt ist, leider konnte ich keine Abbildung davon im Internet als Link finden, um das zu belegen …
Als Entschädigung gibt es das Aufmacherbild. Es handelt sich um eine Aufnahme, das ich im Museum von Heraklion auf Kreta gemacht hat.
Ich persönlich finde es ungemein interessant, dass in den Sagen um Demeter, Persephone und Hades Leben und Wachstum mit Tod und Stillstand zusammenkommen. Sie sind ein weises Bild, dass diese beiden Eckpunkte unseres Daseins keine Gegensätze sind, sondern als zwei Pole auf einer Linie zusammengehören. Und sie zeigen durch ihre Rhythmik, die durch die Jahreszeiten veranschaulicht wird, dass sie sich nicht ausschließen, sondern eine Abfolge bilden.